Servicewüste Telefon

Inhalt dieses Beitrags:
Der Twitter-Hashtag #Servicewüste offenbart eine Welt des Grauens. Verärgerte Kunden bekommen die Telefonnummer von genau der Warteschleife, über die sie sich beschweren, aber keine Hilfe. Sie verbringen ihre Lebenszeit damit, schlechte Musik vom Band zu hören, gelegentlich unterbrochen von einem freundlich säuselnden „Bitte warten Sie“. Haben sie dann endlich aufgegeben und eine E-Mail geschickt, dann erhalten sie eine Antwort von der E-Mail Adresse nicht_antworten@firmenname.de. Rückfragen sind offenkundig nicht eingeplant. Ein Gutschein lässt sich nur am Verkaufsschalter einlösen, nicht online. Schade nur, dass der nicht am Abend offen hat. Pakete landen in einer kaputten Packstation, deren Tür sich nicht öffnet. All dies sind Tweets aus den letzten Tagen, mit denen Kunden öffentlich ihren Unmut äußern.
Der Service hat nur wenig Anteil daran, ob Kunden kaufen. Wichtiger sind die Produkte, die Preise und das Image der Marke. In vielen Branchen haben die Käufer erst dann Kontakt zum Kundenservice, wenn etwas nicht funktioniert. Dann kann er der Grund sein, warum ein Kunde zu einem anderen Anbieter wechselt. Gründe gibt es genug: Unverständliche Telefonmenüs, lange Wartezeiten, kalte Transfers oder unzählige E-Mails, bis das Problem endlich gelöst ist. Natürlich muss der Anrufer bei jedem Kontakt das Problem erneut schildern, weil Helpdesk- und CRM Plugins nicht integriert sind.
Kunden denken bei dürftigem Service schnell „Die machen es mir schwer, damit sie es einfach haben. Sie wollen nur mein Geld, der Rest ist ihnen egal.“ Wer so denkt, bleibt nur bei einem Anbieter, wenn ein Wechsel aufwändig ist. Oder wenn er durch einen Vertrag gebunden ist.
Wege aus der Servicewüste
Ich höre Dich schon sagen: „Ja, wir würden es ja gerne besser machen. Aber das kostet alles Geld, das wir nicht haben.“ Ja, zum Nulltarif kannst Du den Service nicht verbessern. Denn Du musst Zeit investieren. Auch kosten ein CRM-System und eine ordentliche Callcenter Software Geld. Darüber hinaus brauchst Du den Willen, besser zu werden und die Bereitschaft, alles zu hinterfragen, was Du machst. Prüfe, ob Deine Arbeitsweise dem Service im Weg steht und wenn ja, dann ändere sie. Das ist aufwändig und kostet Zeit. Zeit, die Deine Kunden nicht mehr investieren müssen.
Wer den Kundenservice kontaktiert, erwartet eine prompte Lösung des Problems. Die First Time Resolution (Erstlösungsrate) ist ein wichtiger Treiber der Kundenzufriedenheit. Das habe ich in meiner Arbeit im technischen Support immer wieder erlebt. Wenn Du Service mit Leichtigkeit bieten willst, dann untersuche warum Du beim ersten Kontakt genau das nicht vermocht hast: Was stand der Lösung im Weg? Wie kannst Du dieses Hindernis beseitigen?
Muss ein Kunde ein zweites oder drittes Mal anrufen, will er nicht seine Geschichte noch einmal erzählen. Er erwartet, dass der Service ihn wiedererkennt und sich an seine Fragen und Probleme erinnert. Deswegen mögen Kunden keine Call Center: sie werden nie den gleichen Mitarbeiter zweimal ans Telefon bekommen. Bei Amazon hatte ich kürzlich zum ersten Mal den Kundenservice kontaktiert. Als ich ein zweites Mal anrufen musste, machte ich mich darauf gefasst, alles nochmal zu erklären. Doch der Angestellte wusste sofort Bescheid, denn meine Daten waren automatisch auf seinem Monitor erschienen. Der Mitarbeiter konnte sich auf das Problem konzentrieren. So wünschen Kunden es sich. Die AHT sank nebenbei.
Kunden mögen es nicht, wenn wir sie von einem Kommunikationskanal zum nächsten schicken. Wer sich verzweifelt auf Twitter beschwert, dass der Service am Telefon nicht zu erreichen ist, möchte dort Hilfe bekommen. Und nicht wieder in die Warteschleife des Grauens zurückgeschickt werden. Doch meist geschieht genau das, weil Twitter dem Marketing gehört – kein Zutritt für den Kundenservice.
Vorausschauender Service vermeidet Probleme
Vorausschauender Kundenservice ist DIE Gelegenheit, den Aufwand für Kunden zu reduzieren und sie zu begeistern. Selbst wenn Du deine Probleme meist beim ersten Kontakt löst, tauchen doch bei jedem 5. Anrufer kurze Zeit später neue Probleme und Fragen auf. Manches davon kannst Du vorhersehen, weil es immer wieder vorkommt. Wenn Du diesen einen Schritt weiter denkst, dann ersparst Du deinen Kunden das Problem, bevor es auftritt. Das senkt die Kosten und steigert die Kundenzufriedenheit. In meiner früheren Firma verkauften wir einen Artikel, den nahezu jeder Erstanwender reklamierte. Das Produkt hatte eine gute Qualität, aber viele Nutzer machten einen kleinen Fehler in der Anwendung. Im Beipackzettel informierten wir darüber, doch den las niemand. Hätten wir einen besser sichtbaren Hinweis auf die Verpackung gedruckt, dann wäre unseren Kunden eine Menge Ärger erspart geblieben.
Für vorausschauenden Service muss man die Kundenreise (Customer Journey) kennen und wissen, was die Kunden wann machen und welche Fragen und Probleme dann auftauchen. Wo sind die Fallen? An welchen Touchpoints ist der Aufwand für die Anwender hoch? Wie lässt sich das ändern?
Der beste Service ist kein Service
Niemand freut sich auf einen Anruf beim Kundenservice. Lieber wäre uns, alles würde reibungslos funktionieren. Wenn doch mal ein Problem auftritt, versuchen die meisten Kunden, es selbst zu lösen. Sie lesen im Handbuch nach oder suchen auf der Webseite nach Antworten. Allzu oft verzweifeln sie dabei an unverständlichem Jargon geschrieben und Marketing-Texten. Foren helfen auch nicht weiter, weil dort Geeks in Experten-Sprache diskutieren. Dann wenden sie sich an den Service. Viele Anrufer haben eine lange Suche hinter sich, in einem Labyrinth voller Sackgassen. Das ist den Beschäftigten im Kundenservice oft nicht bewusst.
Mache die Servicewüste urbar
Kunden erwarten, dass Firmen aus Reklamation lernen und Probleme abstellen. Sie wollen mit einer Beschwerde auch zukünftigen Käufern helfen. Als ich mir letzten Sommer in einem Restaurant eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hatte, heilte mein Magen durch meine Beschwerde nicht schneller. Dennoch habe ich mich beschwert, um anderen Gästen das gleiche Schicksal zu ersparen. So denken viele Kunden.
Im Qualitätsmanagement gibt es den CAPA-Prozess. CAPA steht für „corrective and preventive action“ (Maßnahmen zur Korrektur und Prävention). So soll verhindert werden, dass Fehler sich wiederholen. Im Kundenservice konzentrieren wir uns oft auf Fehlerkorrektur und die Vorbeugung bleibt aus. Die Beschäftigten im Kundenservice bekommen die immer gleichen Fragen, lösen die immer gleichen Probleme und hören das immer gleiche Feedback. Doch niemand sammelt es und wertet es aus. Ein funktionierender CAPA-Prozess reduziert den Aufwand für Kunden und Kundenservice gleichermaßen.
Customer Effort Score und andere Kennzahlen
Die wichtigsten Kennzahlen, mit deren Hilfe Du den Aufwand für die Kunden messen kannst, sind
- First Time Resolution (Erstlösungsrate). Die Fälle, die Du nicht gleich löst, machen den Kunden mehr Arbeit.
- Folgeanfragen: Anzahl der Kunden, die eine Frage stellen, kurz nachdem ein Fall geschlossen wurde. Diese Anfragen hängen vermutlich mit der ersten Erkundigung zusammen und hätten mit vorausschauendem Service vielleicht vermieden werden können.
- Durchschnittliche Fallbearbeitungszeit vom ersten Kontakt bis zum Abschluss. Kunden möchten sofort eine Lösung. Je länger es dauert, desto unzufriedener sind sie. Denn das bedeutet, dass Du nach einer Übergangslösung suchen musst.
- Die durchschnittliche Zahl der Kontakte pro Fall. Jeder Kontakt (Anrufe, E-Mails, Chats und Posts und direkte Nachrichten in sozialen Medien) bedeutet Aufwand. Auch wenn er von Dir ausgeht.
- Der Anteil der Fälle, die an Kollegen oder Vorgesetzte transferiert werden. Nicht nur wartet der Kunde auf eine Lösung, jetzt muss er oder sie auch alles von vorne erklären.
Du kannst Deine Kundschaft auch direkt fragen: „Wie aufwändig war es für Dich, Deine Anfrage an uns zu stellen?“. Daraus berechnet sich der Customer Effort Score. Frage immer auch, was es für die Kunden besonders einfach oder schwierig gemacht hat. Denn sonst weißt Du nicht, was Du ändern sollst.