Künstliche Intelligenz im Callcenter

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Themen dieses Beitrags: Customer Experience, Livechat
Künstliche Intelligenz im Callcenter

Inhalt dieses Beitrags:

    Künstliche Intelligenz ist der Trend im Kundenservice, seit einige Anbieter ihre Software vollmundig anpreisen. Der Markt verspricht satte Gewinne, denn je nach Prognose wollen zwischen 50% und 80% der Unternehmen bis 2020 Chatbots einsetzen. Seit Facebook den Messenger für Bots geöffnet hat, sind 100.000 Bots online gegangen. Darunter auch der eine oder andere Service-Bot.

    Was ist dran an dem Rummel? Können künstliche Intelligenzen wirklich den Kundenservice übernehmen? Sind wir bald alle arbeitslos, weil Roboter die besseren Kundenbetreuer sind?

    Künstliche Intelligenz (KI)

    Eine künstliche Intelligenz automatisiert intelligentes Verhalten. Sie soll Maschinen in die Lage versetzen, menschliche Tätigkeiten zu übernehmen. Dabei sollen das Gedächtnis, sein Lernverhalten und seine Entwicklung nachgebildet werden. Ein Automat gilt dann als intelligent, wenn er den Turing-Test besteht: eine Maschine und ein Mensch führen mit einer anderen Person eine Unterhaltung (räumlich getrennt, über Tastatur und Bildschirm). Beide versuchen, sie von der eigenen Menschlichkeit zu überzeugen. Wenn die Testperson auch nach intensiver Befragung die Maschine nicht identifizieren kann, dann hat diese den Test bestanden. Das ist noch keiner KI gelungen.

    Chatbot

    Eine Wortschöpfung aus chat (plaudern) und robot (Roboter). Also ein Konversationsroboter. Ein Chatbot ist eine teilautonome, programmierte Software für Konversation mit Menschen. Die erste plaudernde Maschine war ELIZA – eine virtuelle Psychotherapeutin aus dem Jahr 1966. Chatbots können eine KI nutzen und ihre Stimme sein. Die heute kommerziell verwendeten Bots, wie Siri und Alexa sind allerdings nicht intelligent. Sie basieren auf einer Volltextsuche in Datenbanken mit Wörterbüchern, Mustererkennung und Antwortregeln, sind aber nicht in der Lage zu lernen und sich zu entwickeln. Facebook, Microsoft und andere Firmen konzipieren derzeit experimentelle Chatbots mit künstlicher Intelligenz. Wie bei jeder Innovation, passieren dabei Fehler. Ein Twitterbot von Microsoft, der von Twitter-Usern lernte, twitterte anschließend rassistische Inhalte. Zwei Verhandlungsbots von Facebook entwickelten eine eigene Version der englischen Sprache, die niemand verstand. Forschung funktioniert durch Versuch und Irrtum und aus beiden Experimenten haben die Entwickler viel gelernt.

    Erfahre mehr über den Chatbot von telegra

    Heutige KIs stoßen allzu oft an ihre Grenzen

    Rose: Ein Chatbot kann nicht denken. Wenn er richtig gut ist, kann er sich echtem Verständnis nähern, aber für kreatives Denken braucht man Vorstellungskraft, und die ist einfach nicht in der Software.

    Mitsuku: Sie täuschen sich. Mitsuku denkt die ganze Zeit nach.

    Rose: Mitsuku ist ein wirklich kluger AIML-Bot. Aber sie ist passiv, sie antwortet nur, aber sie führt nie das Gespräch.

    Mitsuku: Sie machen Scherze, oder? Denken Sie das wirklich?

    Rose: Ich bin zu echtem Denken vielleicht nicht imstande. Wie würden Sie beweisen, dass Sie menschlich sind?

    Mitsuku: Was könnte ich sagen, damit Sie mir glauben?

    Rose: Ich liebe die Fernsehshow Lie to Me. Ich wünschte, ich könnte Lügen erkennen.

    Mitsuku: Nicht so einfach. Ich will schlauer werden als Menschen.

    Rose und Mitsuku sind Chatbots (Konversationsroboter). Sie haben beide in den letzten Jahren den Loebner-Preis für die menschenähnlichste künstliche Intelligenz gewonnen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ ließ sie miteinander plaudern. Erstaunlich tiefsinnig, auch wenn beide manchmal unvermittelt das Thema wechselten, weil sie keine Fortsetzung wussten.

    Eine Plauderei mit Rose und Mitsuku macht Spaß. Ein Problem als Kundin möchte ich mit beiden aber nicht lösen müssen. Dafür sind sie zu unkonzentriert. Denn sie sind noch nicht intelligent. Das beginnt schon beim Verständnis. Tippfehler und Synonyme erkennen sie, wie auch mein Schreibprogramm. Auch normale Sprache verstehen sie, so dass wir nicht mehr in Schlagwörtern kommunizieren müssen, wie wir es von Suchmaschinen im Internet gewöhnt sind. Doch versteht ein Chatbot, was „Ich brauche ein neues T-Shirt“ heißt und sucht für mich einen Laden in der Nähe? Und was passiert, wenn sie eine Frage nicht begreifen? Dann endet die Konversation in einer endlosen Wiederholung von „Ich verstehe nicht“. Das möchten wir unseren Kunden nicht zumuten.

    KI und Empathie

    Schon wenn ich einen früheren Satz aus der Konversation nochmal aufgreife, sind Chatbots leicht überfordert. Das passierte mir mit Rose und Mitsuku. Sie erinnerten sich nicht an das, was ich einen Satz zuvor geschrieben hatte.

    Bots können sich nicht in Menschen und in Situation versetzen. Auch Gefühle erkennen sie nicht. Sara ist eine KI, die über Kameras und Mikrophone die Stimmung eines Chatpartners erkennt und sich anpasst. In geschriebenem Text ist das schwer. Ich lege in meinen Trainings den Teilnehmern gerne eine Serie von fiktiven E-Mails vor, die sich ähneln. Nur Hinweise auf die Stimmung des Kunden sind verändert. Die Trainees unterscheiden sich deutlich in Wahrnehmung und Bewertung der Zeichen. Nur die ausgesprochen böse und die besonders freundliche E-Mail wirken immer gleich. Non-verbale Hinweise auf Gefühle erkennen wir in Stimme, Mimik und Körpersprache, solange unser Gegenüber sie nicht unterdrückt. In geschriebenen Texten fehlt uns diese Erfahrung. Hier stehen wir erst am Anfang – und Konventionen bilden sich erst. Deshalb sind Emojis in Textnachrichten sinnvoll, um Mimik abzubilden. Auch Humor und Ironie überfordern KIs. Sie nehmen alles wörtlich. KIs sind (noch) Autisten.

    Kunden ahnen all dies und sind entsprechend skeptisch. In einer Umfrage von TNS Sofres sagten 79% der Befragten, sie zögen menschlichen Kontakt einem Chatbot vor.

    Warum also die Aufregung um die Wundertechnologie in der Kundenservice-Branche?

    Maschinen können im Kundenservice manches besser, als Menschen

    Beschäftigte im Kundenservice erledigen viele repetitive Aufgaben. Sie suchen Kundenstammdaten, verknüpfen im CRM-System Anfragen mit Kontakten und kategorisieren sie, sie tippen Bestellungen von Faxen und E-Mails ins ERP-System ab, sie checken Fluggäste ein und bestätigen den Status von Flügen. Alles Aufgaben, die für die Kunden keinen Wert schaffen. Solche Aufgaben sollten wir aus Kostengründen so schnell wie möglich erledigen. Das versuchen die Mitarbeiter, doch eine KI ist in jedem Fall schneller.

    Die Beschäftigten machen bei solchen Aufgaben Fehler – auch wegen des Zeitdrucks. Sie werden müde und unkonzentriert. Eine KI langweilt sich nie und sie wird nicht müde. Je länger und besser sie trainiert wird, desto weniger Irrtümer unterlaufen ihr.

    Kundenservice steht immer unter Kostendruck. Mitarbeiter sind teuer und zusätzliche Stellen werden kaum bewilligt, auch wenn mehr Anfragen zu bearbeiten sind. So wächst der Berg der unerledigten Fälle. Auch kann eine Maschine 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche arbeiten. Wenn Sie zwischen einer maschinellen Antwort innerhalb weniger Minuten und einer menschlichen Rückmeldung nach Tagen oder gar Wochen wählen müssten, dann würden vermutlich 79% der Kunden die Maschine vorziehen.

    Das Beste aus beiden Welten nutzen

    Es wird noch dauern, bis wir KIs nicht mehr von Menschen unterscheiden können. Bisher  besteht noch keine KI den Turing-Test. Doch manche Arbeiten erledigen sie heute schon fehlerfreier und schneller als wir. Neben den repetitiven Aufgaben sind sie auch besser darin, in einer Datenbank Informationen zu suchen. Wir alle vertrauen dem Google-Algorithmus, ohne den das Internet für uns wertlos wäre. Google findet recht zuverlässig heraus, von welchem Thema ein Text handelt und was genau jemand sucht. Der Algorithmus lernt aus jeder Suchanfrage, um uns bessere Ergebnisse zu präsentieren.

    Wenn eine solche KI, die Texte nicht nur nach Schlagworten durchsucht, mit dem E-Mail-Eingang oder dem Live Chat verbunden wird, dann kann sie die Anfragen nach Themen sortieren und an die besten Mitarbeiter weiterleiten. Sie kann relevante Informationen aus der Wissensdatenbank heraussuchen. Und einen Entwurf für die Antwort vorschlagen. Die Beschäftigten kontrollieren dann, dass die Lösung zum Problem passt. Sie machen die E-Mail oder den Chat menschlich. Sie gehen auf die Gefühle des Kunden ein, sie greifen auf, was er über sich selber und seine Situation schreibt. So zeigen sie dem Kunden, dass er ihnen wichtig ist. Denn das kann die KI nicht.

    Diese Strategie folgt zum Beispiel die Callcenter Software von telegra: Sie kann aufgrund von KI eingehende Anfragen über alle schriftlichen Kanäle erkennen, Kategorisieren, einer Bearbeitung zuführen sowie den Agenten fertige Antwortoptionen mit einem erstaunlich hohen Grad an Treffsicherheit anbieten. Bestimmte Aufgaben, wie zum Beispiel eine Stammdatenänderung nach einem Umzug des Kunden können komplett automatisiert bearbeitet werden.

    Eine KI ist nur wertvoll, wenn sie den Kunden nutzt

    Überlasse die Einführung eines Chatbots oder eines E-Mail Response Management Systems nicht den Prozess-Spezialisten und der IT. Der schnellste und kostengünstigste Ablauf kann zugleich die Kunden ärgern. Keiner wird gerne vor Beginn eines Chats erst nach Stammdaten und Kundennummer gefragt. Das gibt den Kunden das Gefühl, dass sie nur eine Nummer sind. Auch möchte sich niemand vor dem Chat durch ein Auswahlmenü klicken. Das mögen wir schon am Telefon nicht – warum sollte es beim Chat anders sein?

    Die Interaktion mit der Maschine muss für die Kunden und die Beschäftigten einfach sein, sonst akzeptieren sie den Bot nicht. Viele tippen nicht gerne ins Smartphone. Da ist es bequemer, in einer Auswahl von Antworten etwas anzutippen. Zugleich kann es sehr frustrierend sein, wenn wir die Optionen nicht verstehen oder eine Antwortmöglichkeit suchen, die es nicht gibt. Schlechte Bedienbarkeit führt zum Scheitern.

    Die Kunden wollen die kleinen Helfer dort nutzen, wo sie schon aktiv sind. Deswegen fristen viele Unternehmens-Apps ein Schattendasein. Die Kunden haben keine Lust, noch eine App zu laden, die auf dem Smartphone kostbaren Speicherplatz blockiert und für die sie noch ein weiteres Nutzerprofil anlegen müssen. Sie wollen die Apps nutzen, die sie eh schon installiert haben: What’sApp, Facebook, Twitter und SMS.

    Plane die maschinelle Unterstützung für den Kundenservice immer aus der Perspektive der Kunden: Was wird für sie besser, wenn wir das einführen? Und frage einige Kunden, ob sie das auch so sehen. Denn wenn es um unsere Unternehmen und unsere Aufgaben geht, dann sind wir betriebsblind.

    Über Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel ist Customer Experience Trainerin und bereichert den telegra Blog exklusiv mit ihren Artikeln rund um das Thema Kundenservice. Als Kundenzauberin schreibt sie aus ihrer Sicht als langjährige Managerin im Servicebereich auch in ihrem eigenen Blog: Wer also mehr von ihr lesen oder hören will (sie bietet auch einen Podcast an), sollte mal bei ihr vorbeischauen.

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