Warum ein 80/20 Servicelevel im Call Center nicht immer das richtige ist
Inhalt dieses Beitrags:
Was ist das Servicelevel im Callcenter?
Das Servicelevel ist die meist verwendete Kennzahl im telefonischen Kundenservice. Service Level Agreements sind Bestandteil der Verträge für Call Center, die im Auftrag anderer Unternehmen arbeiten. Sie beinhalten Richtlinien für den Kundenservice, die die Agents bei Kundeninteraktionen einhalten müssen. Ein Servicelevel von 80/20 besagt, dass 80 % der Anrufe innerhalb von 20 Sekunden angenommen werden. Das heißt, dass jeder fünfte Kunde länger als 20 Sekunden wartet. Das entspricht 4-5 mal Klingeln des Telefons. Mehr als 20 Sekunden kann alles heißen: Von 21 Sekunden bis zu 45 Minuten. Auch, dass der Anrufer komplett aus der Warteschleife fliegt oder selber entnervt auflegt.
Was genau ist ein Service Level Agreement?
Ein Servicelevel-Agreement (SLA) im Callcenter ist eine vertragliche Vereinbarung oder ein Leistungsversprechen zwischen dem Callcenter und seinen Kunden (interne oder externe Auftraggeber). Es definiert messbare Leistungskennzahlen und Standards, die das Callcenter in Bezug auf die Servicequalität und Effizienz erfüllen muss. Dabei ist das Service Level nur eine von vielen Kennzahlen und Inhalten der Vereinbarung.
Inhalte eines SLAs im Callcenter
Service-Level-Ziele:
- Anteil der Anrufe, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne beantwortet werden (z. B. „80 % der Anrufe innerhalb von 20 Sekunden“)
- Maximale Wartezeiten oder die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Anrufs (Average Handle Time, AHT)
Erreichbarkeit:
- Verfügbarkeit des Callcenters (z. B. 24/7 oder nur werktags von 9 bis 17 Uhr)
- Maximale Ausfallzeiten oder Reaktionszeiten bei Systemstörungen
Qualitätsstandards:
- Kundenzufriedenheitsbewertungen (z. B. durch Umfragen gemessen)
- Prozentsatz der erfolgreich gelösten Anfragen beim ersten Kontakt (First Call Resolution, FCR)
Metriken zur Leistungsmessung:
- Abbruchquote: Anteil der Anrufe, die vom Kunden aufgelegt werden, bevor sie beantwortet werden
- Besetzungsquote: Anteil der Anrufe, die aufgrund fehlender Kapazitäten nicht entgegengenommen werden können
Bedeutet ein hohes Servicelevel im Callcenter auch eine gute Erreichbarkeit?
Das Servicelevel hat sich als die wichtigste Kennzahl für Call Center im telefonischen Kundenservice durchgesetzt. 80/20 gilt seit einer mehr als 30 Jahre alten Studie des amerikanischen Telekommunikationskonzerns AT&T weithin als Industrie-Standard. Das Unternehmen hatte damals festgestellt, dass viele Anrufer nach 20 Sekunden auflegten. Doch gilt das auch für Dein Unternehmen? Und erwarten alle Kunden das gleiche Level? Vergleichen wir einmal zwei Beispiele:
- Firma A hat das Servicelevel Ziel 80/20. Am Nachmittag wird es für eine Stunde hektisch und manche Anrufer müssen sich gedulden – bis zu 10 Minuten lang. Einige Kunden legen auf, ohne den Kundenservice erreicht zu haben. Das Servicelevel ist am Abend 81 % – das Ziel ist erreicht.
- Firma B hat das gleiche Ziel. Es ist den gesamten Tag über viel zu tun und manche Anrufer müssen ein wenig länger als 20 Sekunden warten. Die Beschäftigten schaffen es, die meisten Gespräche innerhalb von 30 Sekunden anzunehmen. Im Durchschnitt lag das Servicelevel bei 79 % – das Ziel wurde verfehlt.
Laut der 80/20 Regel ist Szenario B schlechter. Doch bei welcher Firma sind die Kunden zufriedener? Ist es schlimmer, viele Anrufer ein paar Sekunden länger warten zu lassen, oder wenige Kunden eine gefühlte Ewigkeit? Darauf gibt es keine eindeutige Antwort.
Im Kano-Modell gilt die Erreichbarkeit als Basismerkmal für guten Service. Kunden setzen voraus, dass sie eine Firma unkompliziert erreichen. Sie ärgern sich, wenn das nicht so ist. In manchen Situationen warten sie auch mal länger, weil ein Anliegen ihnen besonders am Herzen liegt. Doch niemand ist davon begeistert. Wenn es nach den Kunden ginge, dann wünschen sie sich ein Servicelevel von 100/10: Alle Anrufe werden nach 2-3 mal Klingeln beantwortet. Doch das bringt hohe Personalkosten mit sich. Wenn die Beschäftigten ausschließlich am Telefon im Einsatz sind, dann sinkt zugleich die Auslastung in Phasen mit wenig Telefonaten. Du kannst es Dir also vermutlich nicht leisten, so viele Mitarbeiter einzustellen, bis Du zu jeder Zeit ein Servicelevel von mindestens 95/10 erreichst.
Servicelevel Berechnung: Das richtige Service Level für Dein Callcenter herausfinden
Wir zeigen Dir, wie du Dein Service Level trotzdem verbessern kannst und so positive Kundenerlebnisse schaffst. Dafür solltest du zunächst herausfinden, mit welchen Anliegen Kunden dein Callcenter kontaktieren und wie sie sich bei längeren Wartezeiten verhalten. Hilfreich ist es außerdem, die übliche Wartezeit in Deiner Branche als Richtwert hinzuzuziehen und zu beobachten, ob es je nach Uhrzeit, Wochentag oder sogar Saison Schwankungen in Deinem Anrufaufkommen gibt.
1. Analysiere die Call Abandonment Rate
Nach welcher Zeit steigt sie an? Typischerweise gibt es einen Peak gleich zu Beginn, wenn eine Bandansage startet, weil manche Anrufer sofort auflegen. Anschließend harren viele Kunden bis zum Ende der hoffentlich kurzen Ansage aus und treffen im Menü ihre Auswahl. Wenn sie anschließend nicht auf der Stelle bedient werden, dann legen wieder manche Anrufer auf. Ab wann steigt Deine Zahl? Das ist die entscheidende Zeit für das Servicelevel. Statt x/20 kann das Ziel also x/15 oder x/30 sein.
2. Bekommst Du viele Anrufe von Kunden, die wegen der Wartezeit auflegen und es wenig später wieder versuchen?
Dann ist Dein Servicelevel zu niedrig. Zugleich wird Dein Servicelevel durch diese wiederholten erfolglosen Anrufe noch schlechter. Das ist ein Teufelskreis.
3. Aus welchen Gründen rufen Kunden Dich an?
Suchen sie eine Antwort auf eine einfache Frage? Dann warten sie ungern lange am Telefon und die Call Abandonment Rate wird früh steigen. Benötigen sie Hilfe bei einem komplizierten Anliegen? Dann gedulden sie sich eher, bis ein Experte zur Verfügung steht. Ist es für sie ausgesprochen wichtig, dass sie ein Problem lösen? Auch dann warten sie länger und das Servicelevel darf etwas niedriger sein.
4. Welche Erfahrungen machen die Kunden in Deiner Branche und wie prägt das ihre Erwartungen?
Müssen sie oft länger warten – wie bei Fluglinien? Dann kann das Servicelevel Ziel x/30 oder sogar noch länger sein. Die üblichen Erfahrungswerte, die Deine Kunden in Deiner Branche machen, beeinflussen genau so wie die Dringlichkeit ihres Anliegens auch ihre Erwartungshaltung und Geduld.
5. Können die Kunden Dich per E-Mail, Social Media oder Live Chat erreichen?
Dann gedulden sie sich am Telefon ungern. Zugleich akzeptieren sie eher, dass sie zu Spitzenzeiten nicht durchkommen, denn sie können ja ausweichen. Das ist der Vorteil der asynchronen Kommunikation: sie gibt den Kunden Kontrolle. Das Servicelevel darf etwas niedriger sein. Wenn das Telefon der einzige Weg ist, auf dem ein Kunde Dich erreichen kann, dann ist ein hohes Servicelevel wichtig.
6. Wie schwankt die Zahl der Anrufe während des Tages, der Woche und der Jahreszeiten?
Bei erheblichen Schwankungen ist es schwieriger, das Servicelevel Ziel zu erreichen. Es sei denn, Du kannst kurzfristig Beschäftigte von anderen Aufgaben abziehen.
7. Kannst und möchtest Du Kunden priorisieren?
So dass ein VIP oder ein Kunde, der zum wiederholten Mal anruft, schneller bedient wird? Macht es in Deinem Unternehmen Sinn, für verschiedene Kundengruppen abweichende Ziele vorzugeben?
8. Passe Dein Ziel nicht an, indem Du die Zahl vor dem Strich niedriger setzt.
Alles unter 70/x ist wenig sinnvoll. Denn das hieße, dass Du dein Ziel nur für knapp mehr als die Hälfte der Kunden erreichen möchtest. Sei ehrlich und erhöhe die Zahl nach dem Strich. Statt 60/20 also 80/30 oder 90/40.
Das Service Level mit Call Center Software optimieren
Eine gute Callcenter Software unterstützt Dich dabei, die oben genannten Daten zu analysieren und die Nachbereitungszeit eines Gesprächs für Deine Agents zu verkürzen. Zudem bietet sie Lösungen, die die Wartezeit für Deine Kunden erträglicher machen. So kannst Du Deinen Kunden etwa zu Beginn des Telefonats mit einer Ansage mitteilen, wie lange sie vermutlich warten müssen und ihnen so mehr Kontrolle geben. Dadurch fühlen sie sich weniger ausgeliefert. Außerdem ist es möglich, einen Rückrufservice anzubieten. Nehmen Kunden diesen in Anspruch, können sie die Zeit, bis ein Agent verfügbar ist, anders nutzen – ohne steifen Nacken vom Telefonhörer.
Die Checklist für besseren Kundenservice bietet Dir übrigens ganz praktische Tipps, was Du noch so für die Qualität des Services in Deinem Unternehmen tun kannst!
Fazit: Service Level berechnen & Kundenzufriedenheit verbessern
Das Servicelevel ist wichtig, ohne Frage. Wird es aber zu sehr betont, kann das unerwünschte Nebenwirkungen haben. Versuche nicht, das Servicelevel mit Appellen an die Beschäftigten zu verbessern, ohne an den Prozessen oder der Zahl der Mitarbeitenden etwas zu ändern. Denn dann fühlen Mitarbeitende sich genötigt, Gespräche kurz zu halten, um verfügbar zu sein. Darunter leidet die Qualität und für vorausschauenden Service, der einen Schritt weiter denkt, bleibt keine Zeit.
Unter Druck kommt außerdem schnell der Gedanke auf „Die Kunden können ja wieder anrufen, wenn sie noch mehr Fragen haben“. Deshalb ist es unerlässlich, dass Du auch die First Contact Resolution Rate im Auge behältst. Die darf nicht sinken, wenn das Servicelevel steigt.
Das Service Level allein sollte also nicht deine einziger Richtwert sein. Mit unseren Tipps einen realistischen Wert für Dein Unternehmen zu bestimmen, hilft dir trotzdem, insbesondere dann wenn du daraus sinnvolle Handlungsmaßnahmen ableitest, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.