Kundenorientierte Unternehmensführung: Ein Stuhl für die Kunden in jeder Besprechung.

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Themen dieses Beitrags: Customer Experience
Besprechung

Inhalt dieses Beitrags:

    Mach doch mal einen Test: In den nächsten drei Besprechungen oder Telefonkonferenzen zählst Du, wie oft jemand über die Kunden spricht. Über ihre Erwartungen, Wünsche und Beschwerden. Davon, welche Auswirkung eine Entscheidung auf sie hat. Darüber, wie Deine Produkte und Dienstleistungen für sie wertvoller werden können.

    Und? Hast Du bei jedem Thema mindestens einmal über die Kunden gesprochen? Dann hör jetzt gerne auf zu lesen. Nutze die gesparte Zeit für Deine Arbeit.

    Vermutlich ist Deine Strichliste recht kurz. Selten hat jemand etwas über die Kunden gesagt – im schlimmsten Fall nie. Ich selber habe in unzähligen Besprechungen und Telefonkonferenzen gesessen, in denen es um alles Mögliche ging, aber nicht um diejenigen, für die wir alle arbeiteten. Sogar bei uns im Service konnte das passieren.

    Dabei sind die Kunden der Zweck jedes Unternehmens. Es kann auf Dauer nur überleben, wenn es etwas schafft, für das jemand bereit ist zu bezahlen. Das ist Wertschöpfung. Alles andere ist Beschäftigung. Sie kostet Zeit und Energie, aber sie bringt keinen Wert. Unsere Firmen bestehen überwiegend aus Beschäftigung: Formulare, Berichte, Pläne, Anträge und Besprechungen. Kundenorientierte Unternehmensführung schaut auf die Erwartungen und Wünsche der Kunden, nicht auf Erfüllung interner Vorgaben.

    Wie Deine Besprechungen unproduktiv wurden

    Neu gegründete Firmen kennen all das nicht. Sie konzentrieren sich darauf, ihre Idee für ein Produkt umzusetzen. Eine Besprechung findet dann statt, wenn es ein Problem gibt und eine Lösung gesucht wird. Erst wenn sie wachsen, stellen sie fest, dass nicht mehr jeder im Unternehmen alles weiß. Dann beginnen die Jour Fixes. Sie sind nicht dazu da, Probleme zu lösen, sondern Informationen zu verteilen. Auf hoher Ebene sollen auch Strategien entwickelt werden. Wenn das Unternehmen wächst, steigt die Zahl der Meetings. Mancher Manager verbringt mehr als die Hälfte der Arbeitszeit in Sitzungszimmern und Telefonkonferenzen.

    Es werden nicht nur mehr Besprechungen, sie ändern sich auch. Wenn früher Informationen ausgetauscht und Probleme besprochen wurden, wird jetzt Hierarchie demonstriert.

    • Wer gehört dazu?
    • Wer kann über die Zeit der restlichen Teilnehmer bestimmen?
    • Wer kann wem etwas anweisen?
    • Wer kann Mitarbeiter abkanzeln?
    • Wer kann ein Veto einlegen?
    • Wer hat noch nichts gesagt, möchte aber auch Redezeit?
    • Wer kann andere zusammen rufen, anstelle sich selber in ein Thema einzuarbeiten?

    Manche Besprechungen dienen dazu, sich abzusichern: Falls alle beteiligt waren, ist niemand schuld, wenn es schief geht.

    Über all diesen Spielchen geraten die kundenorientierte Unternehmensführung und die Wertschöpfung aus dem Blick. Bis keiner mehr an sie denkt.

    Die Kunden müssen wieder auf die Agenda – aber wie?

    Nun bist Du sicherlich nicht in der Position, Besprechungen einfach abzuschaffen. Auch wenn nahezu alle, die ich kenne, genau das gerne machen würden. Sie haben vielleicht auch mal versucht, die Meeting-Kultur zu verbessern. Mit Tagesordnung und Regeln – und es hat nichts gebracht. Und selbst, wenn es funktioniert hat, sind damit die Kunden nicht wieder ins Blickfeld gerückt. Denn niemand hat bemerkt, dass sie von der Agenda verschwunden waren.

    Probier mal etwas aus. Dazu brauchst Du keine Genehmigung und keine Mitstreiter. Nur ein wenig Wagemut. Bist Du dazu bereit?

    Beim nächsten Meeting hältst Du einen Sitz frei.* Wenn der erste Tagesordnungspunkt besprochen und mal wieder nur über interne Probleme diskutiert wird, dann fragst Du in die Runde: „Stellt euch vor, dass auf dem freien Stuhl der wichtigste Teilnehmer unserer Besprechung sitzt: ein Kunde  (oder eine Kundin). Wäre er bereit, für diese Diskussion zu bezahlen? Wäre er willens, für die Prozesse zu bezahlen, die wir uns mit jenem Vorschlag einhandeln?“

    Du könntest auf Unverständnis stoßen. Denn niemand kann sich vorstellen, dass ein Unternehmen ohne Beschäftigung funktionieren kann. Besonders die nicht, deren Arbeitsplätze daran hängen. Und jene nicht, die Kontrollverlust und Blindheit fürchten. Wir klagen alle über die überbordende Bürokratie, doch wir schaffen sie selber.

    Schnell begründet jemand, warum genau dieses Formular oder jener Prozess Geld einspart. Und das sei ja schließlich im Interesse der Kunden, oder nicht? Doch gesparte Kosten sind keine Wertschöpfung. Beschäftigung hat zudem einen versteckten Preis: Arbeitszeit und verlorene Energie bei den Mitarbeitern. Jedes Stirnrunzeln wegen der Bürokratie kostet das Unternehmen, denn es stört bei der Arbeit. Kundenorientierte Unternehmensführung lenkt nicht ab, sondern motiviert zu produktiver Arbeit.

    Doch wenn Du Glück hast, schaut jemand auf und sagt: „Mensch, Leute, das stimmt. Hilft diese Diskussion, unsere Produkte oder Dienstleistungen besser zu machen? Können wir damit im Markt erfolgreicher sein? Oder wird nur unsere interne Bürokratie größer?“

    Ein kleiner Schritt zur kundenorientierten Unternehmensführung

    Du wirst immer wieder auf den Kunden am Tisch verweisen müssen. Du selbst wirst es manchmal vergessen und Dich in internen Diskussionen verlieren. Doch wenn Du beharrlich bleibst, dann verändert sich vielleicht etwas. Dann geraten die Kunden erneut ins Blickfeld.

    Unterschätze aber nicht das Beharrungsvermögen der unproduktiven Besprechungen. Denn viele Deiner Kollegen bekommen ihr Gehalt nicht für Wertschöpfung, sondern für Verwaltung. Sie haben nahezu nie Kontakt zu Kunden. Kundenorientiertes Arbeiten kennen sie aus Vertrieb und Service, aber nicht aus ihrem eigenen Bereich.

    Mit der Praktik, einen Stuhl für die Kunden freizuhalten, und sie in die Besprechung einzubeziehen, kannst Du mehr erreichen, als mit Appellen. Wenn Du und Deine Kollegen bereit sind, ein solches Experiment zu starten und das Unbehagen bei den ersten Malen auszuhalten. Probier es aus – wenn es nicht funktioniert, dann hast Du nichts verloren.

    Falls Dich jemand erstaunt fragt, wie Du auf diese Idee der kundenorientierten Unternehmensführung gekommen bist, dann verweise auf Jeff Bezos, den CEO von Amazon.

    * Zur Not stehst Du einfach von Deinem Stuhl auf, wenn es soweit ist.

    Über Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel

    Wiebke Wetzel ist Customer Experience Trainerin und bereichert den telegra Blog exklusiv mit ihren Artikeln rund um das Thema Kundenservice. Als Kundenzauberin schreibt sie aus ihrer Sicht als langjährige Managerin im Servicebereich auch in ihrem eigenen Blog: Wer also mehr von ihr lesen oder hören will (sie bietet auch einen Podcast an), sollte mal bei ihr vorbeischauen.

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